Kundalini Yoga in der Psychotherapie?
Wie Bewegung, Atem & Klang wissenschaftlich sinnvoll integriert werden können
Aufgrund ihrer hohen Relevanz für psychisches Wohlbefinden wurden traditionelle spirituelle Konzepte auch in moderne psychotherapeutische Verfahren integriert. Was einst Teil buddhistischer Schulung war, ist heute – in Form von MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction) und MBCT (Mindfulness-Based Cognitive Therapy) – fest in der Psychotherapie verankert. Ohne Mantra, Guru, Ashram oder Glaubenssystem. Ein ähnlicher Weg lässt sich für bestimmte Techniken aus dem Kundalini Yoga denken, die körperlich, neurologisch und emotional wirksam sind – und sich gut in einen psychotherapeutischen Rahmen einfügen. Es gibt heute eine solide wissenschaftliche Basis, um genau diese Elemente therapeutisch einzusetzen – säkular, traumasensibel und individuell angepasst.
Was sind Kundalini Kriyas?
Kriyas sind festgelegte Bewegungsabfolgen aus dem Yoga, die mit bewusstem Atem, Konzentration und oft auch Klang (z. B. Mantras oder Summen) kombiniert werden. Das Wort „Kriya“ stammt aus dem Sanskrit und bedeutet so viel wie Handlung, Reinigung oder innere Praxis.
In der Praxis heißt das: Eine Kriya ist eine Übungssequenz – z. B. eine bestimmte Bewegung, die über einige Minuten rhythmisch wiederholt wird, während du bewusst atmest und deine Aufmerksamkeit auf den Körper lenkst. Kriyas sind mehr als Gymnastik. Sie sind so aufgebaut, dass sie gezielt körperliche, emotionale oder energetische Prozesse anregen und regulieren können, zum Beispiel:
Aktivierung oder Beruhigung des Nervensystems
Abbau von Spannungen oder innerer Unruhe
Förderung von Fokus, Klarheit und Durchlässigkeit
Unterstützung der Selbstregulation
Wie wirken Kriyas?
Aus körperpsychotherapeutischer Sicht kombinieren Kriyas mehrere wirksame Elemente:
Rhythmische Bewegung → wirkt stabilisierend und strukturierend (z. B. bei Stress oder Überforderung)
Atemlenkung → beeinflusst direkt das Nervensystem (Beruhigung oder Aktivierung)
Aufmerksamkeit → fördert Körperwahrnehmung und emotionale Verbindung
Wiederholung → schafft Zugang zu tieferen Erlebensschichten oft jenseits von Sprache
Was spricht für die Integration von Kundalini-Elementen?
Atemtechniken (Pranayama, Breathwork)
Die Atmung ist ein direkter Zugang zum autonomen Nervensystem.
Langsame, bewusste Atemtechniken können:
den Vagusnerv aktivieren (→ Beruhigung, Verbindung, Sicherheit)
den Herzschlag harmonisieren
Ängste reduzieren und emotionale Stabilität fördern
Auch dynamische Atemformen wie Feueratem oder segmentierte Atemzüge aus dem Kundalini Yoga können – in angepasster Form – helfen, innere Starre oder Antriebslosigkeit zu lösen. Studien zeigen positive Wirkungen bei Angst, Depression, Schlafproblemen und PTBS.
Körperliche Übungen (Kriyas)
Kriyas sind oft rhythmisch abgestimmte Bewegungsabfolgen mit Atem und Fokus. Das macht sie aus therapeutischer Sicht besonders interessant:
Bewegung aktiviert emotionale Verarbeitungszentren
Rhythmen & bilaterale Stimulation fördern neuronale Integration (→ ähnlich wie EMDR)
Wiederholung und Struktur geben Sicherheit bei starker innerer Aktivierung
Die Kombination mit Atem erhöht die Interozeption – also die Fähigkeit, den eigenen Körper bewusst zu spüren. Gerade in der Traumatherapie ist diese Form regulierender Körperarbeit von zentraler Bedeutung.
Klangarbeit und Mantras
Auch Klang wirkt direkt auf das Nervensystem.
Bestimmte Töne und Vibrationen (z. B. Summen oder Brummen) aktivieren über Kehlkopf und Gaumendach den Vagusnerv – ein Tor zu Beruhigung und Selbstregulation.
Mantra-Meditationen können:
das Stresszentrum im Gehirn (Amygdala) dämpfen
die Aufmerksamkeit bündeln
bei innerer Unruhe oder Flashbacks stabilisierend wirken
Dabei geht es nicht um die spirituelle Bedeutung, sondern um die klangliche und rhythmische Wirkung auf Körper und Gehirn.
Warum das alles psychotherapeutisch relevant ist
Viele emotionale Themen lassen sich nicht allein durch Sprache oder Analyse lösen. Emotionen sind verkörpert. Wenn wir nur kognitiv arbeiten, bleibt ein großer Teil des Erlebens unberührt. Kundalini-Elemente bieten eine Möglichkeit, Emotionen nicht zu bekämpfen, sondern mit ihnen in Beziehung zu treten. Wie ein Klient es einmal formulierte:
„Kundalini Yoga hilft, emotionale Zustände zu befreunden.“
Ein treffendes Bild. Denn statt Emotionen zu kontrollieren oder zu verdrängen, laden diese Praktiken dazu ein, mit ihnen zu atmen, sich zu bewegen und ihnen Raum zu geben. Gerade in stark aktivierten Zuständen sind diese Methoden oft besser zugänglich als klassische Achtsamkeitstechniken.
Fazit
Kundalini Yoga enthält viele Techniken, die sich wissenschaftlich begründen und therapeutisch nutzen lassen – wenn man sie säkular formuliert, traumasensibel anwendet und in den psychologischen Prozess integriert. Wie bei der Integration von Achtsamkeit in die Psychotherapie geht es auch hier um Erfahrung statt Ideologie – und um verkörperte Prozesse statt reinem Gespräch. Wenn du neugierig bist, wie solche Methoden in der Psychotherapie wirken können, begleite ich dich gerne in einem gemeinsamen Prozess.